Klaus Doldinger´s Passport

Sonntag 22.05.2022 | 13. Kasseler JazzFrühling Theaterstübchen geht fremd | Staatstheater Kassel Opernhaus 19:30 Uhr | Eintritt ab 40,- Euro Die Veranstaltung wird krankheitsbedingt verlegt, Ersatztermin wird schnellstmöglich bekannt gegeben.

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Weltpremiere und CD Releasekonzert des neuen Albums „Motherhood“
Re-Make oder Neudeutung? Weder noch! In Klaus Doldingers Augen ist sein neues Album „Motherhood“, das er mit Passport, Gesangsgästen und Solisten eingespielt hat, gleichsam Rückblick und Standortbestimmung. „Motherhood“ gab es schon mal, Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre. Allerdings nicht als Albumtitel, sondern als Projektname mit dem vorangestellten Artikel „The“. Unter diesem Nimbus erschienen 1969 „I Feel So Free“ und 1970 „Doldinger’s Motherhood“, zwei Alben, in denen Klaus Doldinger vor einem halben Jahrhundert seine musikalische Sprache neuausrichtete und erweiterte.
Zuvor, Anfang der 50er-Jahre, hatte er in Düsseldorf mit den Feetwarmers Dixieland-Jazz gespielt. Danach stellte der damals bereits äußerst Umtriebige zu Beginn der 60er-Jahre das Klaus Doldinger Quartett auf die Beine. Dessen erstes Album trug 1963 den Titel „Doldinger – Jazz Made In Germany“, bot inhaltlich bereits einen Ausblick auf die folgenden musikalischen und geografischen Etappen Doldingers. Im Zickzackmuster bereiste er die Welt, spielte im New Yorker „Birdland“, in New Orleans und Marokko. Inspirationsexpeditionen waren das, von denen seine Modern Jazz- und Bebop-Auffassungen enorm profitieren sollten.
Zwischendurch komponierte er zunehmend auch fürs Fernsehen, versah Markenartikler-Werbung mit kleinen, einprägsamen Jingles und vertonte die allererste Sendung, die im Deutschen Fernsehen je in Farbe ausgestrahlt worden war. Der Rest ist hinlänglich bekannt: die Filmmusik zu „Das Boot“, „Die unendliche Geschichte“, die allgegenwärtige „Tatort“-Insignie – Klaus Doldinger hat die feinmotorischen Aufnahmefähigkeiten bundesdeutscher Gehörgänge wie kein zweiter deutscher Musiker über mindestens sechs Jahrzehnte hinweg mitjustiert.
Die Schnittstelle zwischen der Vorliebe des Jazz-Connaisseurs für freie Musik, Sould und seine unbestreitbare Melodien-Findungskraft, war vor 50 Jahren das Projekt The Motherhood. „Mir gelüstete es damals danach, auch mal wieder Musik zu spielen, die auf einem anderen, vielleicht sogar auf einem tanzbaren Niveau unterhalten sollte. Zwar wurde als Autor der meisten The Motherhood-Stücke seinerzeit Paul Nero, mein Unterhaltungsmusik-Alter Ego gewählt, aber reine Unterhaltungsmusik waren die beiden The Motherhood-Alben nicht. Es war eine spannende Zeit: die Rockmusik öffnete sich zu dem Zeitpunkt dem Jazz und den Formen, die man heute als ‚Weltmusik‘ bezeichnet, der Soul wurde zunehmend anspruchsvoller. Und ich war, vom Jazz kommend, mittendrin. Die Musik von The Motherhood spiegelte das ziemlich gut“, erinnert sich Doldinger.
Dass er 1970 die gerade geborene Hybrid-Sprache Jazzrock mitprägte, sei ihm erst kürzlich, als er die beiden alten The Motherhood-Scheiben wieder zur Kenntnis nahm, bewusst geworden, führt er weiter aus. Die sind als Vinyl-Originale längst vergriffen, und auch nur Second Hand für teuer Geld zu finden. Der eigentliche Beweggrund für die Neuaufnahmen von 10 The Motherhood-Stücken und einer Nummer aus dem Kanon seiner späteren Band, ist allerdings dem Bewusstsein geschuldet, dass das Projekt The Motherhood die Blaupause für die Band Passport war.
Deutlich wird der Übergang zwischen Doldingers Jazzrock-Projekt und seiner bis heute währenden Band Passport in den aufeinanderfolgenden Stücken „Soul Town“ und „Loco-Motive“ des neuen Albums „Motherhood“. Während die 1969 entstandene „Seelenstadt“ in selbstverständlicher Unbekümmertheit mitsamt Hammond Orgel-Solo Richtung Funk groovt, greift das Neuarrangement des „Ataraxia“-Klassikers den unbeschwerten Sinn fürs Melodische auf, führt ihn aber in Latin-Jazz-Manier aus.
Ein wichtiges Merkmal der The Motherhood-Stücke war Doldingers Hinwendung zu Songformen. Die Neueinspielung von „Turning Around“ wartet entsprechend mit einer handfesten Überraschung auf: Klaus Doldinger höchst selbst stand für das halb im Chanson stehende Lamento vor dem Gesangsmikrofron. Der Blaxploitation-Disput-Song „Women’s Quarell“ hieß im Original „Men’s Quarell“ und wurde von China Moses sublim umgeschrieben, um ihrer durchdringend-weiblichen Sängerinnenperspektive gerecht zu werden. Max Mutzke wuchtet seine Guturallaute derweil im „Song Of Dying“ durch die Live-im-Studio-Neuaufnahme. Udo Lindenberg, der kurz nach dem Ende von The Motherhood erster Schlagzeuger von Passport wurde, gibt in „Devil Don’t Take Me“ nochmal den Soul-Rocker – allerdings gesanglicher als im Original.
Die Komposition „Circus Polka“ schließt den 50 Jahre währenden Kreis zwischen The Motherhood und dem neuen Album „Motherhood“ als Instrumentalnummer mit allem, wofür Klaus Doldingers Passport seit den frühen 70er-Jahren steht: klare Strukturen, jubelnde Melodien und Saxofon-Soli, großzügig geschaffene Plätze für Improvisationen, und Themen, die, ähnlich dem „Tatort“-Thema, ewig währen im Gedächtnis. „Wade In The Water“ mit Joo Kraus an der Trompete, führt schließlich mit locker-groovigem Rhythmus und klangästhetischer Erinnerung an Zeiten, in denen sich deutsche Unterhaltungsshows noch Big Bands im TV-Studio leisten wollten, aus dem „Motherhood“-Album. Das unterstreicht einmal mehr den Ehrenplatz, den sich Klaus Doldinger längst erspielt hat.
Der in Berlin geborene und in Düsseldorf ausgebildete Komponist, Bandleader und Jazz-Connaisseur lebt seit Jahrzehnten in Icking nahe München. Seine besonderen Verdienste für den Fortbestand und den Fortschritt der modernen Musik aus Deutschland sind längst mehrfach gewürdigt wurden – vom Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, über die „Goldene Kamera“, zahllose Gold-Awards bis hin zum Adolf-Grimme-Preis. Schöne Anerkennungen seien das, sagt Klaus Doldinger, aber sie seien für ihn keinesfalls so wesentlich wie die Musik. Um mit bald 84 Jahren wieder aufzubrechen, um neue Anknüpfungspunkte für seine einzigartige Komponistenhandschrift zu finden, sei die energetische Standortbestimmung „Motherhood“ sinnvoll gewesen, erklärt er. Als Zuhörer muss man sich die Sinnfrage hingegen gar nicht stellen. Zuhören, genießen und erkennen zu können, warum Doldinger heute so klingt wie er klingt, ist beinahe ein Segen.