›DISCOTHEQUE‹
Wir müssen wieder tanzen. Wir müssen wieder singen. Und so taucht die Jazzkantine ein in die Welt der ›Discomusik‹, die in ihren Ursprüngen vor 50 Jahren im Milieu des New Yorker Undergrounds viel diverser und innovativer ist, als man vermutet. Eine Melange aus ersten DJ-Techniken und neuen bombastischen Sound-Systemen bietet auf privat organisierten House Partys viel Raum zur Entfaltung der LGBT-Community. Noch heute erinnert alljährlich der Christopher Street Day an die Stonewall-Riots und somit an eine Zeit, als noch gleichgeschlechtlicher Tanz verboten ist. Vor allem David Mancusos ›Loft‹ ist Anfang der 70er eine Keimzelle für den Disco-Sound, der erst viel später mit Hits wie ›Stayin‘ Alive‹ und ›Le Freak‹ zum internationalen Boom wächst – auch die Rolling Stones, Abba und Kiss springen bekanntlich später auf den Zug auf.
Parallel verbinden aber auch Jazzgrößen wie Herbie Hancock, Miles Davis und Chick Corea die Raffinesse des Jazz mit der rhythmischen Intensität des Funks zu ›Fusion‹. Und Fred Wesley sagt: ›Discomusic ist Funk mit einer Krawatte‹.
Wie es sich für die experimentierfreudige Jazzkantine gehört, entsteht auf ›Discotheque‹ ein Sound, den man ›Disco Jazz‹ nennen könnte – alles im bandeigenen Mix aus Funk, Soul und Rap, gewürzt mit jazzigen Bläser-Riffs und virtuosen Soli. Songs, die Lust machen, die neun Musiker endlich wieder live auf der Clubbühne zu erleben.
Ganz bewusst gibt es das Album ›Discotheque‹, neben den üblichen Streaming- und Download-Angeboten, nur als Vinyl. Dem Stoff aus dem die 70er sind.
Den Anfang auf der Scheibe macht mit ›Wir heben ab‹ ein druckvoller Opener, mit eingängigen Synth-Linien und luftigen Bebop Bläsern – Albert N ́Sanda scanned die Kantinen-Klangwelt und lässt das Mutterschiff emporfliegen: ›Mit dem Groove, der Dir den Kopf verdreht…‹ – es fällt schwer, die Füße still zu halten.
Van McCoys ›The Hustle‹, der als einer der ersten Discohits aus New Yorks Clubs um die Welt geht, erscheint im Kantinen-Remix in neuem Glanz, Bläser und Rhythmusgruppe verschmelzen zu energiereichem ›four on the floor‹-Dancejazz.
›In der Discotheque‹ werfen die Kantinenköche einen augenzwinkernden Blick auf das Nachtleben der 70er. Klaus, Tina, Carola: Das sind die Vornamen dieser Dekade. Und ein ›Joy‹ gab es wohl auch in jeder Stadt. ›Der Sound ist Hammer, alle wollen Donna Summer‹: ja OK, hier wollen eben auch Klischees bedient werden. Aber wer erinnert sich denn nicht an den ersten Discobesuch in Schlaghosen und viel zu engen T-Shirts?
Aber das Jazz/Rap-Kollektiv blickt auch auf Themen, die vom Leben nach zwei schwierigen Künstlerjahren geprägt sind, die die Welt auf den Kopf gestellt haben und neue Lebensmodelle fordern. So stellt sich in ›Nichts zu verlieren‹ die Frage nach dem, was wirklich wichtig ist: ›Wer hat Dich das letzte Mal bedingungslos geliebt?‹
Eine wichtige Rolle auf „Discotheque“ spielt mit Albert N ́Sanda ein Sänger, der die Jazzkantine schon seit ein paar Jahren begleitet und mit seiner brillianten Stimme, aber auch als Texter neue Akzente setzt. „Wundervoll“ ist eine wundervolle R ́n ́B-Ballade: verträumt, verspielt, verführerisch – auch in der Disco gibt’s mal einen Engtanz.
Die Jazzkantine hatte nie Berührungsängste beim Manövrieren zwischen den Genres, das neue Studioalbum ›Discotheque‹ stellt dies eindrucksvoll unter Beweis. Gründer und Bandleader Christian Eitner hat es geschafft, die vielköpfige Charaktertruppe im Kern seit fast 30 Jahren zusammenzuhalten. Gestählt durch unzählige Gigs in kleinen schmuddeligen Clubs, aber auch in piekfeinen Theatern und in riesigen Arenen. Die Jazzkantine hat bis dato um die 1.500 Konzerte gespielt, das Schönste und Schlimmste, Aufregendste und Außergewöhnlichste aus allen Musikwelten erlebt. Und sie hat noch lange nicht genug.
Jazzkantine 2022
Albert N’Sanda – Vocals
Cappuccino – Rap
Tachi – Rap
Tom Bennecke – Gitarre
Stephan Grawe – Keyboards
Andy Lindner – Schlagzeug
Christian Eitner – Bass
Heiner Schmitz – Saxofon
Christian Winninghoff – Trompete
Foto: Marc Stantlen